Fluchtgeschichten (5 Videos von Zeitzeug*innen)
Rechteinhaber an den Zeitzeugeninterviews ist die Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld, Norden. Die Nutzung der Interviewausschnitte im Rahmen von Andachten und Gottesdiensten zum Weltflüchtlingstag ist gestattet. Jegliche Veröffentlichung und Weiterverbreitung – insbesondere im Internet – ist unzulässig.
»Es muss Menschen, die den Flüchtlingen, egal woher sie kommen und egal zu welcher Nationalität sie gehören, es muss Menschen geben, die ihnen helfen« Waltraud Teichert
Waltraud Teichert wurde am 12. August 1940 im ostpreußischen Elbing (seit 1945: Elbląg/Polen) geboren. Im Januar 1945 flüchtete sie trotz der Durchhalteparolen der Nationalsozialisten gemeinsam mit ihrer Mutter, Tante und ihrem Cousin vor der heranrückenden Front Richtung Westen. Sie gelangten bis nach Gräfendorf in Thüringen zu kommen, wo sie das Ende des Krieges und die sowjetische Besatzung erlebten.
13 Jahre später flüchtete sie ein weiteres Mal: 1958 verließ sie illegal die DDR, um sich mit ihren Eltern eine Zukunft in der BRD aufzubauen. Im Spätherbst 2015 wurde Waltraud Teichert abrupt mit ihrer eigenen Lebensgeschichte konfrontiert: Mit der Ankunft der syrischen Kriegsflüchtlinge begann sie sich in der Ev.-luth. Kirchengemeinde Arle in der Flüchtlingshilfe zu engagieren.
»Wir haben nicht gehungert, dafür hat der Bauer gesorgt.« Alexander Zenker
Alexander Zenker wurde am 31. Juli 1937 in der niederschlesischen Stadt Glatz (seit 1945: Kłodzko/Polen) geboren. An seine Kindheit im nahegelegenen Ort Schlegel (seit 1945: Słupiec/Polen) hat er nur gute Erinnerungen. Die Ausweisungen der Deutschen aus Schlesien und Pommern, wie sie die Republik Polen gemäß den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz durchsetzte, betraf auch die gesamte Familie Zenker.
Die mehrtägige Vertreibung in Viehwaggons im Februar 1946, Hunger, Kälte und Ungewissheit haben sich in Alexander Zenkers Erinnerung festgesetzt. Aber auch die Aufnahme nach den Strapazen des Heimatverlustes erinnerte er zeitlebens: Das zuteilwerden lassen von Obdach und Nahrung sind für ihn ebenso Schlüsselerlebnis wie die Toleranz und die Menschlichkeit ihres Quartiergebers.
»Heute, wenn man über die Ausländer so abfällig spricht, denn erinnere ich mich genau an die Zeit, wo man über uns Flüchtlinge redete.« Ottilie Helms
Ottilie Helms wurde am 15. Dezember 1925 im schlesischen Langenbrück (seit 1945: Moszczanka/Polen) geboren. Erst bei Kriegsende und auf der Flucht vor der Roten Armee, erkannte sie, welcher wahnhaften Ideologie sie aufgesessen war. Nach Kriegsende kehrte sie zunächst in ihre Heimatstadt zurück, bevor sie im Frühjahr 1946 in die britische Besatzungszone ausgewiesen wurde.
Sie kam nach Norden und wurde einer Landwirtsfamilie zugewiesen, die sie einquartierte. Ottilie Helms fand Arbeit bei einer Fabrik für Gemüsekonserven im nahegelegenen Dorf Hage. Nicht nur dort machte sie wechselhafte Erfahrungen, die sie für das Leben prägten.
»Gott ist auch mitgegangen in die Fremde.« Horst Bethke
Horst Bethke wurde 1938 in Eichfelde in Westpreußen (seit 1945: Kałuda/Polen) geboren. Der evangelische Glaube war stets Teil des Familienlebens, doch erst in der allergrößten Not, inmitten der Flucht auf einer Brücke über die Oder, machte Horst Bethke ein Schlüsselerlebnis seines Glaubens: Das Pferdefuhrwerk wäre beinahe in die Oder gestürzt und konnte erst im letzten Moment durch ein aus dem Schlaf aufgewachtes Familienmitglied gestoppt werden – in der Erinnerung von Horst Bethke eine Tat Gottes, der sie auch als Flüchtlinge nicht alleine ließ.
Durchweg positive Erfahrungen in seiner christlichen Sozialisation und ein weiteres Schlüsselerlebnis ließen ihn spät eine zweite Berufslaufbahn als evangelisch-lutherischer Pastor einschlagen. Dabei vergaß er nie die Not, die sie als Flüchtlinge erlitten haben.
»Er hatte Mitleid mit uns – so kleine Kinder, die müssen ja auch irgendwo sein.« Magdalena Adler, geb. Stein
Magdalena Adler wurde 1943 in Altgersdorf (seit 1945: Stary Gierałtów/Polen) geboren. Der Heimatverlust in Folge der Ausweisung aus Schlesien hat sich traumatisch auf die gesamte Familie niedergelegt: Acht Tage währte der Vertreibungstransport in Viehwaggons.
Doch es waren die Menschlichkeit und Aufnahmebereitschaft des Landwirtehepaares Tetje und Anton Goemann im ostfriesischen Terborg, die die ersten Erinnerungen von Magdalena Adler prägten. Die gemeinsame, harte Arbeit in der Landwirtschaft und im Torfabbau prägten den Nachkriegsalltag.